Brot und Spiele: Gregor Kunz montiert Fotografien auf collagierten Gründen zu magischer Pracht
Es gibt ein paar Dinge in den Bildern von Gregor Kunz, die auf eine übernatürliche Erscheinung, zumindest eine Halluzination hindeuten: ein fliegende Fisch, mehrfach Engelsflügel, merkwürdige Schrift an den Wänden, eine Wählscheibe am Himmel, das riesige Zeichen „9 A“. Kennzeichnender und auf den zweiten Blick auch bedrohlicher sind die überall stehenden oder sitzenden Menschen. Sie tauchen als kaum zu deutende Masse von Köpfen, von Gesichtern oder Hüten aus dem Grund. Sie versperren als Gruppe den Blick oder schlurfen davon durch eine dornige, eisige oder schlammige Landschaft.
Es gibt Märkte, Bahnhöfe, Teile von Denkmälern. Kunz setzt in der Werkgruppe „Brot und Spiele“ seine Auseinandersetzung mit den Abgründen der Geschichte fort, jetzt mit dem Fokus auf die Menschen des 20. Jahrhunderts und deren öffentlich demonstrierte Verhältnisse. Das Brot ist für Kunz – ob in der bildenden Kunst oder in der Lyrik – eine der am häufigsten verwendeten Metaphern: nicht allein als Symbol körperlicher Nahrung, sondern als Teil des Lebensvollzugs. Die Spiele sind im Bildvorrat hier und da noch zu sehen: bei Kindern, Musikanten, Tänzerinnen. In ihrer Nachbarschaft, eher von den Figuren hervorgerufen als abgewendet, zeigt sich oft die Katastrophe.
Für seine Drucke nutzt Kunz die Technik des Gicclée: nach Fotomontagen auf Collagen liefert der Tintenstrahldrucker die entsprechende Vergrößerung. Das bringt das Licht zurück nin die Schattenwelt der schwarz-weißen Foto-Vorlagen. Alles andere liefert die Methode des Künstlers: Er hat etwas und sucht etwas hinzuzufinden. Er setzt die Teile zusammen, ohne am Anfang zu wissen, wo er dabei rauskommt. Was man allen Bildern ansieht, weil es mitschwingt (…) Stammt hiervon die andere Hälfte der Magie?
Kunz hat die Freude dreimal: bei der Erfindung der Fotomontage aus fremden und eigenem Material, bei der Herstellung der farbigen Collagen für den Hintergrund aus Plakatabrissen und bei der Kombination beider Schichten. Erstmals stellt er auch einige der Farbgründe als separate Kunstwerke aus. Was im Giclée als Licht oder Aura erscheint, sind dort Risse, Kratzer im Papier, Kanten, Knicke.
Galeristin Karin Weber zeigt zum doppeltem Jubiläum – der Künstler ist kürzlich 60 Jahre alt geworden, und die Galerie Mitte besteht sein 40 Jahren – Kunz' Serie nicht im Werklauf. Sie präsentiert die Bilder im feinen Rhythmus der Farben und Lichter, des Fahnenrots, der gelben Himmel, sie gibt ihnen eine neue Ordnung, die zwei, drei Wänden verblüffende Pracht verleiht. Und es ist ja, Bild für Bild, bei Gregor Kunz auch keine fortgesetzte Geschichte. Sondern immer eine neue, nicht mit einem Blick zu erfassende, diev dorthin ausgreift, woran der Betrachter sich erinnern und was er kennen könnte oder gelesen hat. Der Zeitungsjunge als fliegender Partisan, der sich fragt, wie es weitergeht. Die geflügelten Männer in Betrachtung nicht das Mondes, aber kahler Bäume. Der Panzerkreuzer erscheint – entgegen dem Vorbild – hinter der Freitreppe, nicht davor. Ganz im Vordergrund gelassene Männer.
Uwe Salzbrenner, Sächsische Zeitung, 24.10.2019
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